Max Zitzen zum Ausgang der Europawahl

Zum Ausgang der Europawahl erklärt Max Zitzen, Stadtverbandsvorsitzender der SPD in Würselen:

15,8 Prozent, Platz drei hinter den Grünen, die AfD konnte in Brandenburg und Sachsen zur stärksten Kraft aufsteigen. Die Europawahl 2019 ist für die SPD zum Desaster geworden. Auch in Würselen ist das Ergebnis (hier finden Sie die Übersicht für Würselen) alles andere als zufriedenstellend. Das Problem ist nicht, zu verlieren. Als fairer Sportsmann könnte ich sagen: Mal gewinnt man, mal verliert man, und dieses Mal haben wir leider verloren. Das Problem ist, dass es eine Niederlage mit Ansage war. Die Kampagne der SPD war mutlos und in weiten Teilen komplett an den entscheidenden Themen vorbei.

#EuropaistdieAntwort hört sich ganz nett an. Doch auf welche Fragen Europa die Antwort ist, hat die Kampagne zu keinem Zeitpunkt vernünftig erklärt. Es war wieder einmal eine Wohlfühlkampagne, obwohl es derzeitig wenig zum Wohlfühlen gibt und obwohl die SPD damit in den letzten beiden Jahren wenig gute Erfahrungen gemacht hat. Natürlich kann und soll die SPD die Vorzüge der Europäischen Union aufzeigen, um sie vor den stärker werdenden Nationalist*innen zu schützen. Doch in der Europäischen Union liegt vieles im Argen, sie ist weit von unserer Vorstellung einer sozialen und gerechten Union entfernt. Eine Sozialdemokratische Partei, die die Ungerechtigkeiten in der EU nicht mehr ausreichend benennt und auch keine Lösungen dafür präsentiert, darf sich nicht wundern, wenn sie aus dem linken, fortschrittlichen Lager nicht mehr gewählt wird. All die Menschen, die sich eine soziale, gerechte und nachhaltige EU wünschen, setzen ihre Hoffnung nicht mehr in uns, weil die SPD genau diesen Menschen kein vernünftiges Angebot mehr macht.

Die SPD ist spätestens nach der Europawahl in weiten Teilen der Republik auf die Größe einer Protestpartei geschrumpft. Ich bin der festen Überzeugung, dass die SPD aus diesem Tief nicht alleine mit staatstragenden Positionen herauskommen kann. Die SPD ist seit ihrer Gründung im besten Sinne des Wortes Protestpartei gewesen. Sie hat zum Beispiel den Ausschluss weiter Teile der Gesellschaft von demokratischen Rechten bekämpft und das Frauenwahlrecht durchgesetzt. Sie stand immer an der Seite der Arbeiter*innen und hat die Macht der Unternehmen bekämpft und so höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen durchgesetzt. Der SPD fehlt heute nicht der Wille zum Protest und zur Veränderung, doch oftmals der Glaube und die Durchsetzung. Doch die Menschen fragen sich zurecht, warum sie eine Protestpartei wählen sollen, die gar keine mehr ist.

Die Gründe für den Absturz der SPD lassen sich aber nicht nur in der aktuellen Politik finden. Viele Wähler*innen (und auch viele Genoss*innen) haben uns wegen der Agenda-Politik verlassen. Die SPD hat sich damals von einem neoliberalen Zeitgeist zu Reformen drängen lassen, die einer sozialdemokratischen Partei nur auf die Füße fallen können. Im Zuge der Erneuerung hat es jedoch einen guten Vorschlag der SPD zur Überwindung von Hartz IV gegeben, den Sie hier nachlesen können.

Ich bin allerdings fest davon überzeugt, dass dies nicht der einzige Grund für die Verluste der SPD ist. Alle Probleme, die wir zurzeit haben (und wenn man ehrlich, ist gehört auch die Agenda-Politik dazu), lassen sich auf eines herunterbrechen: Die Spar- und Kürzungspolitik der öffentlichen Hand.

Bei Sparpolitik denken viele zuerst an Griechenland, wo dieses Dogma unter dem Stichwort der Austeritätspolitik sicher seinen traurigen Höhepunkt erlebt hat. Doch das Anhalten zur Sparsamkeit hat längst in allen öffentlichen Einrichtungen und Institutionen Einhalt gefunden. Sparpolitik ist an dieser Stelle sogar das falsche Wort, denn man spart ja, um später zu investieren oder sich etwas leisten zu können. Der Staat dagegen spart nicht, um später Investitionen tätigen zu können. Der Staat kürzt an allen Stellen, um sich nicht weiter verschulden zu müssen. Ich möchte an dieser Stelle auch gar kein Plädoyer für eine höhere Verschuldung halten. Ich bin nur der Meinung, dass gerade wir Sozialdemokrat*innen uns mit immer weiteren Kürzungen immer mehr Handlungsspielraum nehmen lassen, um Verbesserungen für die Menschen durchzusetzen. Wenn wir diesen Handlungsspielraum wieder erlangen wollen, müssen wir endlich über eine Vermögenssteuer reden. Denn wenn wir nicht endlich wieder in unsere Zukunft investieren, erben die nächsten Generationen vielleicht weniger öffentliche Schulden, doch sie bezahlen die Rechnung mit kaputter Infrastruktur, maroden Schulgebäuden oder einem weniger fürsorglichen Sozialstaat.

Am 26. Mai 2019 hat man allerdings auch eines gesehen: Die Menschen differenzieren bei Wahlen zwischen den verschiedenen Ebenen. Auch wenn sie mit der SPD auf Bundesebene unzufrieden sind, nehmen sie die SPD vor Ort viel deutlicher als die Kraft wahr, die sich für sie einsetzt. Das kann man nicht zuletzt in Stolberg beobachten, wo der Bürgermeisterkandidat der SPD, Patrick Haas, nur hauchdünn die absolute Mehrheit im ersten Wahlgang verpasst hat. Und auch in Würselen dürfen und müssen Sie im nächsten Jahr mit einer starken SPD rechnen. Denn in den vielen Fraktions- und Ortsvereinssitzungen sitzen viele Mitglieder, die sich ehrenamtlich Tag für Tag dafür einsetzen, dass es in unserer Stadt vorangeht. Und wenn die SPD für eines steht, dann dafür, dass sie – trotz alledem – den Kampf für eine bessere Welt nicht aufgibt. Seien die Widerstände dabei auch noch so groß!